Donnerstag, 28. Oktober 2010

Gruss aus der Ferne




gente, aca estoy!!! Sorry für das verspätete update meines Blogs, aber wie sagt man so schön - wenn man nichts hört gehts einem bestimmt gut. und so ist es auch. aber von vorne.
Bereits seit über 3 Monaten ist Buenos Aires mein neues Zuhause. Und wie es so typisch ist für das Wort "Zuhause", hat auch hier der Alltag Einzug gehalten, welcher aber nicht so strikte verfolgt wird wie in der Schweiz und wo auch immermal so kleine Auszeiten erlaubt sind.
Skiing in Bariloche, Patagonien, war eine davon. Wovon viele träumen, haben wir hier verwirklicht und gönnten uns eine Woche Skiferien in den Bergen Patagoniens. Es war herrlich, Argentinien mal von einer anderen Seite kennen zu lernen. Einer Seite, die vielen wohl verwehrt bleibt. Patagonien liegt nun einfach mal nicht am Weg und befindet sich quasi am Ende der Welt, zumindest aus der Perspektive Europas. Wir verbrachten einige herrliche Tage beim Snowboarden und Apres-ski, gönnten uns als Verstärkung regelmässig ein sattes Steak und genossen die genüssliche Ruhe bei schönstem Wetter. Aber leider liegt vielfach Freud und Leid nahe beieinander, und so musste auch ich die bittere Erfahrung machen.

Es ist Donnerstag früh, der letzte Tag vor Abreise in den Süden. Ein Telefonanruf, der mich noch Tage, fast Wochen erschüttert. Ein weinender Vater am Telefon, dazwischen unheimliche Stille. Stille, die mich fast erschlägt. Meine Grossmutter hatte einen Zusammenbruch vor knapp 2Stunden. Sie liegt im Spital. Sie schläft. Wird sie je wieder aufwachen? Mir versagt die Stimme. Meine Oma hat mir kurz vor meiner Abreise versprochen, dass wir uns nach meiner Rückkehr wieder in die Arme schliessen können. Kann sie das Versprechen halten?
Ein Hoffen und Bangen zugleich an diesem Tag. Ich weiss nicht ob ich weinen soll, ich bin hilflos. 10000km entfernt, keine Chance irgendetwas auszurichten. Jetzt kann ich nur noch hoffen. Hoffen, dass das Unmögliche möglich wird.
Am Abend, inmitten vom Unterricht erreicht mich diese Nachricht: "Der Zustand ist stabil, sie wird es aber nicht überleben, leider". Fragen tauchen auf, denn ein stabiler Zustand sollte normalerweise zum Weiterleben verhelfen. Gleichzeitig gebe ich aber die Hoffung fast auf, ich verlasse das Zimmer, lese das sms dutzende Male durch. Ich spür, dass ihre letzte Stunde geschlagen hat. Ich kann nachvollziehen, wie es ist, einen Menschen zu verlieren während du dich Kontintente von dessen Aufenthaltsort entfernt befindest.
Meine Oma stirbt am 6.9.10. im Alter von 92 Jahren. Fit, munter, ohne zu schwächeln, immer Witze machend von der pro senectute - den Rückweg könnten die also auch noch laufen - für ihr Alter fidel wie ein Turnschuh. Was auch ihre letzten 3 Tage im Spital zeigen. Sie lebt, ohne Anschluss an lebensrettende Maschinen, sie atmet, sie schläft ruhig. Weshalb aber geht sie nicht vorher? Will sie zeigen, dass sie das Versprechen einzuhalten versuchte? Ich bin mir sicher, unser Deal hat einen Einfluss.Sie will nicht gehen. Und doch - 10min ohne Sauerstoff ist lange. Sie stirbt, von heute auf morgen verlier ich einen Menschen den ich unheimlich liebte. Eine Frau, die immer voraus schaute, von deren positiven Lebenseinstellung noch etliche ein Stück Kuchen abschneiden können. Meine Superoma halt.
Am Tag der Beerdigung brennt in Patagonien eine Kerze. Ich bin unendlich traurig, gleichzeitig aber auch dankbar, meine letzten 28 Jahre mit einer so unglaublich starken und herzensguten Oma verbracht haben zu dürfen. Trotzdem, sie fehlt mir. Sie ist dauerpräsent und hat einen wichtigen Platz in meinen Gedanken des Alltags hier in Buenos Aires eingenommen. Danke Oma für die unglaubliche Zeit die ich mit dir verbringen durfte! Wir sehen uns hoffentlich in Nirvana wieder.

Mittlerweile habe ich mich mit diesem Verlust abgefunden und tue das, was sie auch immer tat: geniessen!

Buenos Aires tönt nicht nur so verführerisch sondern ist auch tatsächlich eine wundervolle Stadt! Hier kommt niemand zu kurz, egal was du suchst. Du findest alles. Gute Bars, Restaurants, gute Musik, fantastische Leute, herrliches Klima, geniale Umgebung! Meine Wahl Buenos Aires hat sich bis anhin bewährt.

Zwischenzeitlich flog ich noch für einen kurzen Ausflug ins benachbarte Paraguay. Ein Wochenende, das mir wieder mal das Elend dieses Kontinentes näher brachte, mir die Augen öffnete für den Luxus den wir hier in BsAs - trotz Status "3t-Weltland" haben. Die Leute sind arm, sehr arm. Die Strassen leer, die Autos verrostet, die Gebäude zur Sanierung fällig. Dies zumindest im Zentrum von Asuncion. Und das ist genau das was mich eigentlich ziemlich ärgert. Sobald du dich ein bisschen von der Armut entfernst, findest du Reichtum, nichts als Reichtum! Dazwischen gibt es nichts. Die Distribution stimmt also auch hier ganz und gar nicht. So war ich froh, trotz eines gelungenen Wochenendes mit meiner Freundin wieder zurück im gestitteten Buenos Aires zu sein!

Gestern war seit 10Jahren wieder mal eine Volkszählung - Feiertag. Alle Läden geschlossen und du verpflichtet, in deiner Wohnung zu bleiben. Wie das funktioniert? Gesandte der Regierung kommen vorbei und lassen dich einen Fragebogen ausfüllen. Ob du einen Pc, ein Telefon, Internet hast. Woher das Wasser und das Gas herkommen. Und was machen die Argentinier? Sie verkneifen sich überall ein Ja, da sie sich vor einem späteren Einbruch scheuen. Na, wenn das mal die Statistik nicht verfälscht:-) Aber so funktioniet es hier, korrupt bis ins Detail, schiebt sich diese Nation selbst ins Verderben. Mit dem Tod von Nestor Kirchner, ebenfalls gestern, ist die Zukunft hier ungewiss. Kann man nur hoffen, dass die Argentinier vorwärts schauen und das Beste daraus machen! Dieses Land und deren Leute hätten es verdient, endlich aus der Krise herauszukommen!

Soviel zu meinem 28. Geburtstag. Prost :-)
bis zum nächsten Mal

Montag, 23. August 2010

Meine neue Heimat



Ich mache es mir aufgrund eines upgrades auf Platz 1A bequem auf dem Flug Frankfurt – Buenos Aires Ezeiza. Mein neuer Lebensabschnitt wird mit Champagner mächtig eingeläutet, der Service der Lufthansa ermöglicht mir einen hervorragenden Start in Richtung Argentinien. Ich schwelge in Träumen welche mein argentinischer Sitznachbar aber gekonnt zu unterbrechen vermag. Weshalb ich nach Argentinien verreise, einem Land das von einer Frau regiert wird und dessen Wirtschaft den Bach runter stürzt. Aber Deutschland habe ja die gleiche Ausgangslage in Bezug auf die Besetzung des Regierungssitzes, also liege das Problem ja wirklich am Geschlecht…Auf meine Frage, ob er denn nichts dazu beigetragen habe, dass sich Argentinien in der Krise befindet – man bedenke alle jeglichen Steuerhinterziehungen – reagierte er ziemlich beschämend, somit ging unsere Sitznachbarbekanntschaft in eine neue Phase – und ich genoss einen herrlich ungestörten Flug in Richtung Buenos Aires. Um nicht stereotyping zu betreiben, habe ich diese Unterhaltung mit diesem wohl über 80ig jährigen Mann ganz schnell in eine Schublade gesteckt und abgehakt.
Buenos Aires, eine Stadt die vor Lebenslust brodelt. Die Menschen hier sind alles andere als deprimiert oder durch die momentan herrschende wirtschaftliche Unsicherheit betrübt. Es lebt, es brodelt, es wird gefeiert. Die Energiezufuhr erhalte ich nicht wie üblicherweise durch Vitamine, sondern durch die Ansteckung dieser ungeheuren Lebensfreude der Argentinier. Es ist ein Wahnsinn, wie viele Lächeln dir jeden Tag entgegen fliegen, wie hilfsbereit sie sind. Und dies, obwohl viele von den Argentiniern selber Hilfe benötigen würden. Ein soziales Auffangnetz gibt es hier nicht, dementsprechend ist die Anzahl der Bettlern und Obdachlosen enorm. Was mir auch auffiel ist die Tatsache, dass es viele Menschen mit „unterschiedlichen Augenwinkeln“ gibt. Ob dies daran liegt, dass hier die Behandlungsmethode einfach zu schlecht ist, das Geld fehlt oder einfach aus dem Grund, dass Buenos Aires eine Millionenmetropole ist und dir einfach mehr Menschen entgegen kommen was die Anzahl der Betroffenen erhöhen könnte, weiss ich nicht so genau.
Die Stadt ist riesig, wird aber durch ein fast einwandfreies Metronetz, wo du dich zu fast jeder Tages- und Nachtzeit hineindrängen musst und im Gerüchtemix von Drittpersonen schwelgst, ziemlich gut vernetzt und ermöglicht so ein relativ schnelles Erreichen jeglicher Stadtteile – auch wenn ich auf die Begegnungen besonderer Art auf dem Weg gänzlich verzichten könnte. Das andere Fortbewegungsmittel ist der Bus, wobei du auch bei Ungewissheit relativ schnell entscheiden musst, welche Linie man besteigt, reissen diese doch kleinere Gruppen gänzlich auseinander in dem einfach Einzelne stehen gelassen werden, wie persönliche Erfahrungen gezeigt haben .
Die Argentinier sind extrem innovativ, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass sie aus vielen unmöglichen Situationen das Möglichste machen müssen. Diese Innovation reicht von den Hundenannys, deren Besitzer des jeweiligen Vierbeiners diesen irgendwo an einem Strassenrand festmachen und dann von der Nanny abgeholt wird, bis zu den 100 verschiedenen Deliverys bei denen du den Magen richtig voll schlagen kannst. Ob indisch, chinesisch, sushi, milanesas, carne oder sonst etwas, das Angebot ist riesig und trägt offensichtlich zu der neu gewonnenen Kochfaulheit bei. Das Fleisch hier ist der Wahnsinn und lässt manche Gourmetherzen höher schlagen.
Im Gegenzug erstaunt mich aber auch so Einiges hier im Negativen. Die Abfallentsorgung zum Beispiel ist hier ja sehr speziell. Recycling? Ja, aber diese erfolgt auf den Strassen, indem Leute – ob das offizielle Angestellte sind oder einfach Personen die sich etwas dazu verdienen wollen weiss ich nicht - den Abfall aussortieren und die Pet-Flaschen sowie den Karton separat wieder entsorgen. Welche Logik dahinter steckt ist mir schleierhaft. Des Weiteren wird deine Geduld in den Supermärkten und überall wo es eine fila – sogenannte Warteschlange – hat, meist ziemlich auf die Probe gestellt. Es kann durchaus sein, dass du den Supermarkt bei Tageslicht betrittst und bei Dunkelheit wieder verlässt. Ich spreche hier ebenso aus Erfahrung 
Ein grosses Thema hier ist natürlich für uns Europäerinnen der Umgang mit den argentinischen Männern. Würde ich für jedes Hinterherpfeiffen und Hingucken jedes Mal eine moneda verlangen, wäre mein Lebensunterhalt hier schon fast bezahlt. Leider geht dieses Problem aber noch weiter. Im Ausgang als Frau kurz alleine stehen bleiben? Dann wirst du Mitglied einen sich immer grösser werdenden Kreises. Und wie lauten die Anreden der Argentinier oder auch der Brasilianer? Auf Deutsch übersetzt könnte dies etwa so lauten: „Hallo, ich heisse Juan und bin für heute dein Sofa….“ Ja, wovon andere vielleicht träumen, kann dies hier manchmal zu ziemlich mühsamen Situationen kommen. Manchmal staune ich hier wirklich Bauklötze mit welcher Dreistigkeit ich manchmal angesprochen werde. Aber diesen kleinen kulturellen Unterschieden kannst du auch mit einem Lächeln begegnen.
Die UADE – unsere Fakultät für dieses Jahr – liegt in einem nicht ganz ungefährlichen Viertel nahe SanTelmo, ist aber auch dank des Metronetzes gut zu erreichen. Das Geschehen rund um den Unterricht ist aber wesentlich interessanter als dieser selber. Da wird Mate (spezieller Tee) mit dem Prof geteilt, inmitten im Unterricht etwas zu Essen geholt – und wohlverstanden dies dann auch während dem Unterricht verzehrt, der Prof wird auch prof gerufen, als wenn dieser keinen Namen hätte, Manschettenknöpfe weisen auf eine „greisige“ Unterrichtszeit hin, und das wohl spannendste ist das Thema mit der Zeit. Offiziell kriegst du eine halbe falta (Fehlstunde) wenn du zu spät im Unterricht erscheinst (8 halbe darfst du dir erlauben). Nun aber, was passiert wenn auch die Lehrer regelmässig 15 bis 25 min später auftauchen? Somit liegt es relativ nah, dass diese falta natürlich erst gilt ab der Anwesenheit des Lehrers. Somit wäre dieses Problem auch wieder geklärt und der Freitagmorgen Unterricht somit aus der Schusslinie der Absenzen.
Seit 5 Wochen weile ich nun in der Hauptstadt Argentiniens, und ja, mein soziales Netzwerk habe ich schon ziemlich ausgebaut, meinen Alltag schon vollumfänglich im Griff mit allen Tücken des argentinischen Lebens, die Wohnung wurde auch schon mit den zwei grössten Haushaltshengsten überhaupt bezogen, bedarf aber noch einer grossen Besserung, wollte ich nicht die Konsequenzen ziehen, der Sommer naht, das Heimweh hat mich bis jetzt noch kein einziges Mal heimgesucht, der Tango fasziniert mich immer wieder von Neuem…Ja, ich kann behaupten, dass ich angekommen bin! La sonrisa del sur im wahrsten Sinne des Wortes.

Samstag, 17. Juli 2010

anja meets world vol.3

Januar 2008, Buenos Aires, Argentina. Diese Stadt verzaubert mich auf Anhieb. Meinen Kollegen erzählte ich damals, dass ich hier leben könnte. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich aber noch nicht, dass mich das Schicksal wirklich erneut für längere Zeit in die Hauptstadt Argentiniens führt.

Juli 2010, St.Gallen, Schweiz. Ich stehe kurz vor meiner Abreise ins Land des Tangos. Die Zelte habe ich erneut wieder abgebrochen, um meinen Drang nach der weiten Welt zu stillen. In 34h kehre ich der Schweiz den Rücken, was ich mich ja eigentlich gewohnt bin, doch diesmal ist es anders. Ich bin gelassen, verspüre keinen Stress, leider aber auch keinen Drang zu gehen. Ich packe diese Stunden vor mich hin, bin unschlüssig über den Inhalt meines Koffers, finde da und dort Dinge die vielleicht noch nützlich sein könnten.

Es ist wieder soweit - anja meets world vol.3. - und völlig im Bewusstsein, dass dies mit grosser Wahrscheinlichkeit die letzte lange Reise sein wird.

...in diesem Sinne adios, ciao, bye bye, nos vemos en 14 meses. Tragt der Schweiz Sorge, dass diese mich wieder so empfängt wie ich sie jetzt verlassen werde.